14.11.09, 13:16:20
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Seit der neuen UN-Konvention kommt Bewegung in das Thema. Sollten wir uns daher besser auch darum kümmern, daß Autisten an gemeinsamem Unterricht in barrierefreier Weise teilnehmen könnten? Wenn es zu einem größeren Umbau käme, wäre das eventuell etwas, das dabei berücksichtigt werden sollte.
Zitat:
Hohe Kosten und wenig Perspektiven für Kinder und Jugendliche mit Förderbedarf - die deutschen Förderschulen sind nach Angaben des Bildungsforschers Klaus Klemm wenig erfolgreich. 2,6 Milliarden Euro geben die Bundesländer pro Jahr allein für zusätzliche Lehrer an Förderschulen aus, heißt es in einer Studie von Klemm für die Bertelsmann-Stiftung.
[...]
Je länger ein Schüler eine Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen besucht, desto ungünstiger entwickeln sich seine Leistungen, heißt es in der Studie. Lernbehinderte Kinder, die gemeinsam mit Kindern ohne Förderbedarf lernen und leben, erzielten dagegen deutlich bessere Lern- und Entwicklungsfortschritte.
Für die Studie hat Klaus Klemm unter anderem nationale und internationale Analysen ausgewertet. Im internationalen Vergleich beschreitet Deutschland demnach mit seinem differenzierten Förderschulsystem einen Sonderweg. Denn in skandinavischen Ländern, in Italien und Spanien werden fast alle Kinder mit Förderbedarf in allgemeinen Schulen unterrichtet - egal, ob sie lern-, körper- oder geistig behindert sind. In Deutschland sind es lediglich 15 Prozent.
Dabei weist Klemm auf große Unterschiede in den einzelnen Bundesländern hin. Von den Schülern mit Förderbedarf besuchen beispielsweise in Bremen gut 45 Prozent den gemeinsamen Unterricht, in Niedersachsen nur fünf Prozent. Ähnlich sieht es in Sachsen-Anhalt aus.
Auch Schüler ohne besonderen Förderbedarf werden im gemeinsamen Unterricht nicht in ihrer Leistungsentwicklung gebremst, so Klemm. Sie profitierten vielmehr, in dem sie ein höheres Selbstwertgefühl und ein positiveres Leistungsselbstkonzept entwickelten.
Quelle
14.11.09, 19:56:19
Coyote
Das ist Theorie - in der Praxis sieht es anders aus.
Ein Wunschdenken ... (leider)
15.11.09, 00:07:18
drvaust
Meiner Meinung nach ist das Beste:
- gemeinsamer Unterricht
- in barrierefreier Weise
- mit notwendiger Förderung
Eine Sonderschule ist eine Ausgrenzung in eine spezielle Gruppe, auch bei einer sogenannten Eliteschule.
Damit wird der weitere Lebensweg und ein spezielles Lebenskonzept vorgegeben.
Ein gemeinsamer Unterricht in einer normalen Schule ohne Förderung ist oft nicht barrierefrei.
Ich bin gegen eine Trennung in verschiedene Gruppen, die sich dann fremd werden.
Aber ohne entsprechende individuelle Anpassung und Förderung geht es schlecht.
Eigentlich braucht jeder Schüler eine angepaßte Förderung, mehr oder weniger.
Sollten wir uns daher besser auch darum kümmern, daß Autisten an gemeinsamem Unterricht in barrierefreier Weise teilnehmen könnten? Wenn es zu einem größeren Umbau käme, wäre das eventuell etwas, das dabei berücksichtigt werden sollte.
Ja, das wäre gut.
Ich habe den Eindruck, daß ein Teil der Autisten, die in Sondereinrichtungen leben, ein relativ normales Leben führen könnten,
wenn sie nicht zu solchen Sonderfällen geprägt und erzogen worden wären.
08.05.14, 12:07:14
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Zitat:
Macht es einen Unterschied, wo Kinder und Jugendliche mit Förderbedarf unterrichtet werden? Ja, besagt eine neue Studie. Schüler mit Handicap auf einer Regelschule haben einen ziemlichen Vorsprung.
Quelle
15.05.14, 19:00:37
starke Dame
In einer Förderschule sehe ich keine kompetente Förderung für einen Autisten. Die nächstgelegene Förderschule, Förderschwerpunkt geistige Entwicklung, hat in den letzten 20 Jahren nicht ein Kind wieder zurück in die Regelschule gebracht. Obwohl dort u.a. auch Autisten beschult werden.
Leider findet man für Autisten gar keine 100%ig richtige Schule. Es ist immer notwendig Aufklärungsarbeit zu leisten.
Inkludierte Regelbeschulung, in dem es dem Autisten frei steht an- oder abwesend zu sein, ist wirklich die bessere Alternative. Leider ist es aktuell nicht möglich auf eine Schulbegleitung zu verzichten, es wäre besser, wenn in der Form eine Barrierefreiheit vorhanden wäre, dass diese Begleitung nicht notwendig wäre.
Doch sehe ich da schon allein durch die dominante nichtautistische Mentalität die größte Barriere. Sie haben eine Blindheit gegenüber gewissen Dingen, die eine einfühlsame Begleitung unentbehrlich machen.
Schon allein die Arroganz, Autismusberatungen für Schulen ins Boot zu holen, die nicht mit der ESH zusammen arbeiten, wird wohl noch Jahre vergehen, bis körperliche und seelische Unversehrtheit für einen Autisten wähend der Schulzeit die Regel sein werden.
Es müsste eine Verpflichtung geben mit Eigeninteressenvertretungen zusammen zu arbeiten und es müsste das Recht auf Bildung, in der Form, die einem Menschen zugänglich ist, geben.
Ich habe auf jeden Fall mächtig verbale Prügel eingesteckt und musste viel ausfechten, dass mein Sohn inkludiert beschult wird. Es fängt in den Kindergärten an, es muss ihnen verboten werden, gegen die Inklusion, Eltern falsch zu beraten. Leider fängt es schon da an, dass Kinder durch falsch informierte Eltern in das Förderschulsystem landen.
Obwohl Eltern die Verpflichtung haben, unter Berücksichtigung der BRK, ebenfalls im Sinne des Kindes auf die Einhaltung von Menschenrechte zu achten, werden sie immer noch nicht eingehalten.
Ganz katastrophal ist es bei den weiterführenden Schulen, da dürfen die Direktoren anscheinend entscheiden, welches Kind sie nehmen und welches nicht.
22.07.14, 12:01:53
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Die FAZ hat mal wieder den Totaldurchblick:
Zitat:
Insbesondere bei Inklusionsfeldern wie sexueller Identität oder Behinderung liegen die Nerven blank. Im Blick auf die Einwände, die gegen die umstandslose Übersetzung von sozialer Gerechtigkeit in den politischen Kampfbegriff der Gleichstellung vorgebracht werden, versteht Frau Allmendinger die Welt nicht mehr. Sie fragt: „Warum ist die Inklusion in Deutschland noch immer so umstritten?“ Noch immer? Immer mehr! Immer mehr zeigt sich der utopische, weltfremde Charakter einer Heilsidee, die über keinen positiven Begriff von Ungleichheit verfügt. Als ergäbe sich aus der Gleichheit vor dem Gesetz (oder vor Gott) die Notwendigkeit, jedweden empirischen Unterschied zu ignorieren.
Nicht jeder kann alles. Und nicht jeder kann das, was er kann, genauso gut wie jemand anderer, der es besser kann. Die Pointe der Inklusionssemantik liegt aber darin, jeden Unterschied als Ungleichheit zu deuten und jede Ungleichheit als Ungerechtigkeit. So wird unter der regulativen Idee der „Vielfalt“ (Schule der Vielfalt, „diversity management“ in Unternehmen) ein egalitäres Anspruchsdenken installiert, das so weit geht, Unterschiede als solche möglichst gar nicht mehr namhaft zu machen. Geschlecht, Behinderung, Alter oder Intelligenz gehören dann gar nicht erwähnt, sie erscheinen als bloße Zuschreibungen im Auge des Betrachters.
Die Analyse kategorialer Unterschiede wird als Essentialismus geschmäht, dem ein naiver Wesensbegriff zugrunde liege. Die propagierte Dekategorisierung („alles ist Zuschreibung“) vollzieht sich aber zunehmend auf dem Rücken der Betroffenen. Frau Allmendinger beispielsweise macht unfreiwillig die diskriminierenden Folgen für die Behinderten sichtbar, ja, befördert sie selbst. So kritisiert die Arbeitsmarktforscherin, „dass viele Bundesländer Inklusion fördern wollen, ihr Förderschulsystem aber unangetastet lassen“. Sie fordert, „Förderschulen konsequent zu schließen“ – und lässt damit die Katze aus dem Sack.
Diskriminierung durch Ausblenden
Inwiefern? Die Antwort lautet: Wenn schwer und mehrfach Behinderte als solche nicht mehr bezeichnet werden dürfen, dann fallen sie über kurz oder lang auch als Träger eines besonderen Förderbedarfs aus. Dann kann man Sonder- schulen schließen, ohne zu wissen, wie diese ihrer speziellen Betreuung beraubten Kinder und Jugendlichen auf inklusiven Schulen zurechtkommen sollen.
Denn das sind Schulen, die – ohne klare Perspektiven für die finanzielle und personelle Ausstattung – derzeit in der Regel Provisorien nach dem Prinzip Daumendrücken darstellen. Vergleichsdaten zur Inklusion aus dem Ausland beziehen sich bei näherem Hinsehen auf andere Förderkriterien, werden aber hierzulande propagandistisch ausgeschlachtet.
Heute steht man vor dem Paradox, dass die begriffliche Gleichstellung der Unterschiede – ihr Unsichtbarwerden – recht eigentlich erst die lebensweltliche Diskriminierung schafft, die man doch verhindern will. Man kann im Interesse der Betroffenen nur davor warnen, die unterschiedlichen Bedürfnisse so weit zu nivellieren, dass sie am Ende nicht mehr geltend gemacht werden können.
[...]
Ein behindertes Kind, so Otto Speck, kann in seiner Teil-Lebenswelt – einer Sonder- oder Förderschule – sich durchaus inkludiert fühlen und doch zugleich von einem externen Bezugspunkt aus als exkludiert betrachtet werden. Dies betrifft jedoch alle, nicht nur behinderte Kinder. Nicht jedes Kind kann an Hochleistungssportkursen und Musikklassen teilnehmen; Kategorien wie Begabung und körperliche Disposition können nicht einfach getilgt werden. Die Frage ist doch: Warum und wie sollte man solche Ungleichheiten kompensieren müssen? In welchem Wolkenkuckucksheim fühlt sich keiner mehr durch irgendwen und irgendwas zurückgesetzt?
Die inklusive Gesellschaft, diese bewusst unscharf gehaltene politische Leitidee, ist eine große Augenwischerei. Sie hantiert mit Erwartungen, die man seinen eigenen Kindern nicht früh genug ausreden kann. Vielfalt bedeutet, das Individuelle zuzulassen, statt es per Etikettenschwindel abzuschaffen. Was inklusive Dogmatiker wie Frau Allmendinger nicht sehen wollen, sind die Grenzen der Gemeinschaft: Wünschen hilft nicht immer weiter.
Quelle