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Im August soll Premier Li Keqiang die Nationale Gendatenbank eröffnen, die BGI im Staatsauftrag südöstlich von Shenzhen gebaut hat, auf 116.000 Quadratmetern. „In drei bis fünf Jahren“ soll es die „größte der Welt“ sein, wie die Sprecherin sagt. Offizieller Zweck: „Speicherung, Ordnung und Nutzbarmachung der genetischen Ressourcen unseres Landes“. Oder, wie es Chinas Nationale Entwicklungsbehörde NDRC nennt: „ein strategischer Schritt, um die Kommandohöhen der Bioökonomie zu besetzen“. Irgendwann soll die DNA sämtlicher 1,4 Milliarden Chinesen erfasst sein. Das könnte bei der Bekämpfung von Verbrechen hilfreich sein, unter der Marke „BGI-Forensik“ ein weiterer Geschäftszweig. Den größten Profit verspricht die Medizin.
Im Schanghaier Xinhua-Hospital sitzen am Mittwochnachmittag Frauen auf blauen Wartebänken, in fünf Reihen hintereinander. Im Fernseher läuft eine Anleitung zur Reinigung des Bauchnabels von Babys. Die Vorgeburtsuntersuchung wartet. Die Patientinnen füllen ein Formular aus für den BGI-Pränataltest „Nifty“, der nicht invasiv erfolgt. Wer innerhalb von zehn Tagen nicht angerufen wird, dessen Baby kommt angeblich mit 99,9-prozentiger Sicherheit ohne Down-Syndrom zur Welt. Andernfalls erhalte die Mutter von der Firma 400.000 Yuan (54.000 Euro), verspricht ein Faltblatt.
Der Nifty-Test ist ein Renner. Im April knackte BGI die Marke von einer Million verkaufter DNA-Vorgeburtsuntersuchungen weltweit. Hunderttausende Male wurde der Test in China verkauft, in einem Jahr. Das Durchschnittsalter der Kundinnen ist einunddreißig Jahre. Bald soll jede vierte schwangere Chinesin getestet werden. Das Down-Syndrom ist längst nicht alles, worüber der Test Aufschluss geben könnte, wenn er untersucht, ob Chromosomen zusätzlich vorhanden sind oder fehlen. Auch ob ein zur Welt gebrachtes Mädchen später unfruchtbar sein und den Großeltern keine Enkel schenken wird, ist so ersichtlich. In einem Land, in dessen Staatsfernsehen Werbeclips für „schmerzfreie Abtreibung“ laufen und in dem dreizehn Millionen jährliche Schwangerschaftsabbrüche vom Staat als „Korrektur“ legitimiert sind, wirft dies Fragen auf.
Die Pränataldiagnostik im Xinhua-Hospital leitet Ji Xing. Nach dem, was der Arzt berichtet, dürfte das Marktpotential für Designerbabys in China gigantisch sein. „Söhne wie ein Drache, Töchter wie ein Phönix“ wünschen sich traditionell Chinas Eltern. Wenn seine Patientinnen wüssten, fürchtet Mediziner Ji, dass der scharfsichtige BGI-Test das werdende Leben im Bauch komplett durchleuchten könne und sämtliche Erbdaten dekodieren, gäbe es eine Abtreibungswelle: „Die winzigste Abweichung von der Norm zöge den Schwangerschaftsabbruch nach sich.“
Es sei denn, es gäbe einen anderen Weg. Den könnte Crispr liefern, eine vor vier Jahren entdeckte Technik, mit der das Erbgut verändert werden kann. Die Rechte zur kommerziellen Verwertung an Crispr hat sich Feng Zhang gesichert, ein 1981 in China geborener Neurowissenschaftler vom MIT. Als Erste publiziert über Crispr habe aber sie, behauptet die Berkeley-Forscherin Jennifer Doudna. Als sie die Methode jüngst in einem populärwissenschaftlichen Ted-Talk der Öffentlichkeit vorstellte, warnte die Crispr-Entdeckerin vor dem Geschäft mit dem Eingriff in die Gene. Doudna zeigte das Bild eines Babys, an dessen Körperteilen erklärt wird, was Crispr alles optimieren kann: ein geringeres Risiko für Alzheimer, Brustkrebs und Schlaganfall ebenso wie volles Haar, perfektes Sehvermögen, absolutes Gehör, starke Beine und hohe Intelligenz.
Mit Crispr könne auch die Körperlänge designt werden und die Farbe der Augen. Die Forscherin forderte, die Anwendung in der Wirtschaft zu stoppen, bis die Technik genug erforscht sei. Und die ethischen Fragen geklärt. Bei BGI in Shenzhen läuft die Crispr-Forschung unterdessen auf Hochbetrieb. China habe Crispr nicht erfunden, mache sich die Technik aber „extrem schnell zunutze“, urteilte jüngst das Fachmagazin „Nature“. Nachdem er vor drei Jahren Staatspräsident geworden war, hatte Xi Jinping befohlen, den „großen ausländischen Konzernen nicht alle Marktanteile“ in der Bioökonomie zu überlassen. Seitdem hat Chinas Genforschung keine Geldsorgen mehr. Die OECD rechnet vor, dass die chinesische Regierung zwischen 2008 und 2012 die Ausgaben für die Biowissenschaft verdoppelt habe, was die Volksrepublik auf den weltweit zweiten Platz hinter den Vereinigten Staaten hieve. In drei Jahren, so die Schätzung, wären die Ausgaben Chinas Weltspitze.
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Forscher Xu hat das Schlusswort: „Wir verändern hier die Geschichte der Menschheit.“